Eine positive Lebenseinstellung ist im menschlichen Denken verankert. Die Forscherin Shelley Taylor stellte fest, dass Menschen – Extremsituationen ausgenommen – dazu neigen, alles etwas positiver zu sehen, als es eigentlich ist, da eine solche Einstellung ihnen das Gefühl gibt, das Leben besser kontrollieren zu können. Dieselbe Wissenschaftlerin entdeckte auch – neben vielen ihrer Kollegen und deren Studien – dass eine positive Grundeinstellung der Gesundheit zuträglich ist. Doch solche Erkenntnisse fördern auch vermehrt Stimmen zutage, welche Optimismus als unumstößliche Doktrin fordern, frei nach dem Motto „Optimismus ist die einzig wahre Lebenseinstellung, die glücklich und zufrieden macht“. Doch kann Optimismus wirklich grenzenlos sein und in jeder noch so ausweglosen Situation weiterhelfen? Oder ist positives Denken manchmal auch fehl am Platz und sogar hinderlich?

Pessimismus

Motivierender Optimismus versus hemmender Optimismus

Man könnte Optimismus in zwei Kategorien unterteilen: Förderlicher Optimismus, der jemandem dabei hilft, eine Situation zu verbessern und hinderlicher Optimismus, der jemanden ausbremst. Ein anschauliches Beispiel lässt sich anhand einer heilbaren oder zumindest beeinflussbaren Krankheit gut konstruieren: Jemand, der krank wird und einer Heilung oder Besserung optimistisch gegenübersteht, wird sich eher Behandlungen unterziehen und sich über eine der Genesung förderlichen Lebensweise informieren sowie diese auch umsetzen. In diesem Falle bewirkt Optimismus natürlich keine magische Heilung, aber lässt den Betroffenen aktiv werden und somit selbst zur Entwicklung hin zu einem besseren Befinden beitragen.

Erkrankt jedoch eine Person an derselben Krankheit, die gnadenlos optimistisch davon ausgeht, dass ohnehin alles gut wird und sich deshalb nicht weiter mit ihrer Krankheit auseinandersetzt, kann das positive Denken schnell einen gegenteiligen Effekt haben, nämlich dass die Krankheit weiter fortschreitet oder keinerlei Besserungen auftreten.

Ein ähnliches Beispiel kann die Prüfungsvorbereitung sein: Wer dem Prüfungsausgang positiv gegenübersteht und dadurch zum Lernen animiert wird, profitiert vom Optimismus. Wer das Lernen vernachlässigt, weil es schon hinhauen wird, könnte vor lauter Optimismus durchfallen.

Wenn Optimismus fehl am Platz ist: Nicht alles kann man positiv sehen

Extremer Optimismus kann auch verletzend sein, denn es gibt menschliche Tragödien, die einfach nicht mehr positiv zu sehen sind, wie der Tod einer nahestehenden Person oder die Erkrankung an einer tödlichen Krankheit – in solchen Fällen lässt sich die Frage, ob Betroffene Lust darauf haben, von gnadenlosen Optimisten „aufgeheitert“ zu werden, wohl klar mit nein beantworten. Und auch ein Optimist selbst tut sich keinen Gefallen dabei, wenn er Schreckliches, das ihm selbst widerfährt, versucht positiv zu sehen. Das kann in manchen Situationen schon fast in Richtung Verdrängung und Selbsttäuschung gehen, was die Psyche stark belasten und sich womöglich später zu schweren psychischen Erkrankungen entwickeln könnte.

Den Frust von der Seele schimpfen: Manchmal tut jammern gut!

Und, wie ein Artikel feststellt, welcher sich mit der Frage beschäftigt, warum Deutsche so viel jammern, kann es auch manchmal gut tun und zum Wohlbefinden beitragen, seinem Frust Luft zu machen, etwas schwarz zu sehen und einfach mal zu jammern – das hat eine kathartische Wirkung, man fühlt sich besser und wenn die Krise überwunden ist, kann man auch wieder optimistisch sein.

Optimismus Bild

Kein Fortschritt ohne Optimismus: No risk, no fun

Es ist gewissermaßen logisch, dass eine optimistische Einstellung jemanden Dinge wagen lässt, die sich ein Pessimist nicht trauen würde, weil er der Meinung ist, dass sie ohnehin nicht gelingen. Das fängt beim Eingehen von Liebesbeziehungen an, welchen man in der Regel zunächst eine Chance geben muss, bevor wirklich deutlich wird, ob zwei Menschen zueinander passen oder nicht. Es geht über den Start eines Studiums, welches zum Beispiel besonders schwer oder ein Herzenswunsch ist, aber keine guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt verspricht. Und es reicht bis hin zu Entscheidungen, die die Menschheit geprägt haben, wie etwa in bestimmte Richtungen hin zu forschen und Dinge zu erfinden. So hätte die Menschheit niemals auf dem Mond landen können, wenn es nicht Personen gegeben hätte, die es für möglich und erstrebenswert hielten.

Letztendlich verhält es sich mit dem positiven und negativen Denken genauso, wie mit fast allem im Leben: Die Extreme sind wenig hilfreich und ein Mittelweg sowie die Akzeptanz dessen, dass beides – je nach Situation – manchmal angebracht ist, ist die gesündeste Lösung.